Freitag, 1. April 2011

Als wenn es gestern wäre...

Da bin ich mal in das Archiv der veröffentlichen Arbeiten gestiegen und fand den folgenden Artikel: (Der Originaltext folgt im Anschluss an die Bilder)
Zeitmagazin April 1977






Bürger oder Chaoten?

Text: Michael Holzach Fotos: Frank Taeger / Zeitmagazin April 1977


Auf ihrem Sofa, bei Kerzenschein und Räucherstäbchen,ist die 25 jährige Petra Andreas nicht wieder zuerkennen. Als ich sie zum ersten mal sah, stand die kleine, zierliche Frau im plumpen Ölzeug. mit Bauarbeiterhelm und Gummistiefeln mitten im Getümmel der Schlacht um die Atombaustelle Grohnde. Eine selbstgemalte Rot-Kreuz-Fahne in der Hand. ein Zitronensaft getränktes Anti-Tränengas Tuch vor dem Mund, dirigierte sie die Arzthelfer zu den Verwundeten. verteilte Kopfschmerztabletten und Traubenzucker, rannte immer dorthin, wo Not am Mann war.
In ihrem plüschigen Dachgeschoß Zimmer in Hamburg-Altona erscheint mir Petra Andreas wie ein anderer Mensch: ruhig, zurückhaltend, bedächtig ganz so, wie ich mir eine gelernte Gemeindehelferin der evangelischen Kirche schon immer vorgestellt hatte, die alte Menschen betreut und Konfirmandenunterricht erteilt. Nach ihrem Praktikum für die Gemeinde studierte Petra an einer evangelischen Fachhochschule und wird abJuni in der Gesundheitsbehörde für Kinder- und Jugendpsychiatrie zuständig sein.
"Leuten helfen, denen es nicht gut geht", darin sieht sie ihre Aufgabe, in Hamburg wie in Grohnde. Der Bau von Atomkraftwerken war für Petra Andreas noch bis vor kurzem ein technisches Problem, für das sie kaum Interesse zeigte. Erst als in Brokdorf wenige Wochen nach der Bundestagswahl bei Nacht und Nebel um den Bauplatz festungsartige Anlagen hochgezogen wurden, schreckte die bis dahin "brave SPD-Wählerin" auf. "Als ich den Stacheldrahtzaun in der Tagesschau sah, fühlte ich mich plötzlich persönlich betroffen, denen da oben ohnmächtig ausgeliefert."
Petra wehrte sich gegen dieses Gefühl, indem sie von nun an die Auseinandersetzung um die Kernenergie aufmerksam verfolgte, Zunächst naive Empörung schlug um in politische Aktivität: "Mir ist klar geworden, daß wir über die möglichen Gefahren der Kernenergie noch viel zu wenig wissen, als daß wir es der gewinnorientierten Energiewirtschaft erlauben dürfen, unser Land mit Atommeilern zuzupflastern." Petra zog aus dieser Einsicht Konsequenzen und wurde Mitglied einer Bürgerinitiative. Seitdem ist die ausgebildete Schwestemhelferin auf jeder Demonstration mit ihrer Rot-Kreuz-Fahne zur Stelle.

Nach der Schlacht nicht wiedererkannt habe ich auch den arbeitslosen Hilfsarbeiter Gerhard Schlotawa, 40, der in Grohnde selbst zu Hause ist. Die Demonstration am 19. März war für ihn die erste, an der er sich beteiligte. Er hätte es selber nicht für möglich gehalten, daß er dort, "die Fäuste in der Tasche",Tränen der Freude weinen würde, als es den Demonstranten in vorderster Linie gelungen war, eine Bresche in das Gitter zu schlagen. Denn eigentlich, dies betont der stämmnige Arbeiter. ist er gegen jede Gewalt. „Aber das Loch am Zaun“, sagt er, "das ist für mich wie eine Ohrfeige gewesen, die sich die Atom—Bauer schon im
letzten Frühjahr verdient haben." Damals, im Juni 76, mußte Schlotawa aus dem Küchenfenster mit ansehen, wie Bagger vor seinem Haus ein 14 Hektar großes und fast erntereifes Getreidefeld einfach niederwalzten, um Hals über Kopf mit dem Kraftwerkbau beginnen zu können. „Das war eine große Sünde", sagt der Sohn eines oberschlesischen Landarbeiters, "und wer Unrecht sät, der erntet Unrecht."
Wobei die Gewalt gegen einen Zaun seiner Meinung nach leichter wiegt als die "Zerstörung unseres täglichen Brots". Dem eher konservativen Heimatvertriebenen war es daher auch ziemlich egal, ob bei der Protestkundgebung Kommunisten mitmachten. Doch als "Komplice von Chaoten" läßt sich Schlotawa selbst von seinem Ministerpräsidenten Albrecht nicht abstempeln, nur weil er an einer Demonstration teilnahm, an der extreme Linke höchst aktiv beteiligt waren. "1ch bin kein Kommunist, weder vorbestraft noch verschuldet", sagt er, "ich bin ein deutscher Mensch.“

Eine der Aktivistinnen, deren politischen Glauben der Arbeiter nicht teilen will, ist Barbara S., 26. Sie sympathisiert mit dem "Kommunistischen Bund" (KB). Auf den Schlachtfeldern um die Reaktorbauplätze gehören sie und ihre Parteifreunde zu einer zwar zahlenmäßig kleinen, aber gut ausgerüsteten und kampfentschlossenen Gruppe von Demonstranten. Der Klebestreifen an ihrem gelben Weltkriegs-Stahlhelm
weist sie als Angehörige der "kämpfenden Truppe" aus, Die Genossen fest untergehakt, rennt sie gegen Polizeisperren an. Verbissen zerrt sie an Tauen, um die Stahlzäune niederzureißen. Kampfpausen nutzt sie, um Steine für die Männer zu sammeln, die damit weiter werfen können als sie. Seit Brokdorf, als die
Hubschrauber im Tiefflug Tränengasgranaten auf sie abluden, kann sie vor einer Demonstration kaum schlafen. Sie hat Angst, und Angst macht aggressiv. Barbara 5., Tochter eines Taxifahrers, studiert im Ruhrgebiet Sozialpädagogik. Sie hat eine dreijährigeTochter. ist unverheiratet und lebt von ihrem ehemaligen Freund getrennt. Die Verbindung zu den Eltern ist abgerissen. "Als alleinstehende Mutter bekommst du schnell mit, was in dieser Gesellschaft eigentlich gespielt wird". sagt Barbara S. Monatelang suchte sie vergeblich eine Wohnung. Ein Platz für die Tochter in der Kinderkrippe war nicht zu bekommen. Barbara wurde Mitglied einer Selbsthilfe Initiative von Eltern, die sich gegenseitig bei der Betreuung ihrer Kinder halfen. Hier erlebte sie zum erstenmal ein Zusammengehörigkeitsgefühl. das gab ihr Sicherheit. Hier traf sie auch auf Mitglieder des Kommunistischen Bundes. Barbara bestreitet, daß sie von ihnen radikalisiert worden sei. In Brokdorf und Grohnde geht es ihr nicht allein um die Kernenergie. Der bürgerliche Staat schlechthin steht hier für sie am Pranger. "Wie immer. wenn die Profitinteressen und Großmachts-Ansprüche der herrschenden Klasse auf dem Spiel stehen", agitiert Barbara, "zeigt dieser Staat sein wahres Gesicht in Gestalt von Polizisten, Stacheldraht und Wasserwerfern".

Viel weniger agitatorisch, von geradezu biblischer Einfachheit sind die Argumente eines anderen Bürgerrechtlers aus dem Grohnder Gebiet, Bauer Theodor Papenmeyer hat in ungelenker Schrift an sein Scheunentor gepinselt: "Die Baustelle muß wieder zur Wiese werden!“ Der Landwirt begründet sein Engagement gegen das Kernkraftwerk mit "meiner 68 jährigen Lebenserfahrung als naturverbundener Mensch". Noch bis nach dem Kriege ging er im Sommer jeden Abend hinunter zur Weser, um zu baden. "Heute wäre das Selbstmord.“ Früher kamen noch die Störche regelmäßig nach Grohnde, und das Gemüse im Garten war frei von Cadmium und Quecksilber. "Wir müssen aufhören. auf Kosten der kommenden Generation zu leben. Es muß ein Ende haben mit unserem Materialismus".
Den Enkeln zum Vorbild hat der Bauer aus diesen Einsichten Konsequenzen gezogen und ein persönliches Energiesparprogramm entwickelt: Er rasiert sich wie in alten Zeiten wieder feucht. Die Heizung im
Schlafzimmer wird nur noch bei starkem Frost angemacht. Um zehn Uhr abendsgehen im Papenmeyer Hof die Lichter aus. und die Familie versammelt sich zur "Dämmerstunde". Statt den ganzen Abend in die Röhre zu giotzen. sind wir wieder miteinander ins Gespräch gekommen.
Allein durch diese Sparmaßnahmen verbrauchten die Papenmeyers 1976 im Vergleich zum Vorjahr 36 Prozent weniger Strom. Würde jeder Bundesbürger diesem Beispiel folgen. müßten in den kommenden Jahrzehnten keine Kraftwerke mehr gebaut werden, folgert der Bauer.
Während der Demonstration stellte Papenmeyer seine Scheune den Atomkraftgegnern als zentrales Notlazarett zur Verfügung, Auf zusammen geschobenen Strohballen wurden 60 Schwer- und Leichtverletzte von fünf Vertrauensärzten der Bürger Initiativen aus Göttingen und Hameln behandelt. Papenmeyer. Sanitätsgefreiter a. D., versorgte zusammen mit seiner Frau Hedwig die Verwundeten mit kalten Umschlägen,
Baldriantee und frischem Geräucherten. "Wir Älteren können ja nur noch eher passiv helfen, aber mit dieser Jugend von heute ist wirklich Staat zu machen."

Die fünfzigjährige Sandra Holler war die älteste Verwundete, die in der Scheune kurz behandelt wurde, bevor sie mit Verdacht auf Schädelbasisbruch ins Kreiskrankenhaus nach Hameln kam. Ein Pflasterstein hatte sie vor dem Bauzaun des Kraftwerks über dem linken Auge getroffen. Im Krankenhaus, erinnert sie sich, wurde sie von einer Schwester mit den Worten empfangen: „Da haben Sie selbst schuld, was kommt ihr Demonstranten auch hierher, um uns aus- gerechnet am Samstag soviel Arbeit zu machen.“
Das Abendbrot bekam die bewegungsunfähige Frau auf den Nachttisch gestellt, und niemand machte Anstalten, sie zu füttem. Die Mutter von drei Kindem liegt heute mit einer schweren Gehirnerschütterung in ihrem Hamburger Vorort Rahlstedt.
Frau Holler, Sekretärin beim NDR, betrachtet sich selber als "aktive und soziale Demokratin". Vor jeder Wahl hat sie bisher Plakate geklebt, Hand Zettel verteilt. für die SPD Klinken geputzt. Für Willy Brandt wäre sie beim Misstrauensvotum .„auf die Barrikade" gegangen. Aber seit in ihrer Heimat, der Wilstermarsch, Ernst gemacht wurde mit dem Kraftwerkbau. fühlt sie sich von der eigenen Partei im Stich gelassen. "In unserem Ortsverein ist das Thema Atom eine heiße Kartoffel. "Der Vorsitzende täfelt lieber seine Kellerbar, als mit uns nach Brokdorf zu marschieren.“ Die Bereitschaft. in der Atomfrage Flagge zu zeigen.und für seine Meinung einzutreten. findet sie heute nur in der Bürgerinitiative, "Die Partei", sagt sie, "besteht für mich nur noch aus Karrierefritzen und Ja-Sagern." Nach den Wanzen—Affären fühlt sie sich vollends vom Staat nicht mehr beschützt, sondern nur noch bedroht. Sandra Holler sagt: ..Wenn man da nicht aufpaßt. wird man richtig radikal."

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