Sonntag, 3. April 2011

Rückblick - die Zweite ("Der Stern" Juni 1977)

Rainer Gohr, ehemaliger Wissenschafts Journalist beim "Stern", ist in die Tiefen seines Archivs gestiegen, und fand diesen Artikel aus der Juni Ausgabe 1977 der Zeitschrift "Stern". Seine aktuellen Gedanken zur Gesellschaft findet man im Blog Nullpunkt WEB (siehe LINKS).
Lieber Rainer, vielen Dank:
"Der Stern" - Juni 1977
"Der Besitzer dieses Münchner Reihenhauses mit Sonnen-Kollektoren spart im Jahr 2000 Liter Heizöl. Bis zu 20 Prozent der Kosten für eine Solaranlage will jetzt der Staat übernehmen."






Strahlende Zukunft
Text: Rainer Gohr 
Fotos: Frank Taeger
Der Wirtschaft winkt ein Milliardengeschäft. Immer mehr Hausbesitzer wollen mit Sonne heizen. Seitdem das Wasser der Dampfbügeleisen in der Textilfabrik Kurt Stadick mit Sonnenenergie vorgewärmt wird, verbraucht der Nieburger Betrieb im Sommer nur noch halb soviel Heizöl wie früher. 10 000 Mark spart in diesem Jahr das 50 Betten Hotel Hudenmühle im niedersächsischen Hodenhagen, weil  Sonnenkollektoren auf dem Dach stehen. Die Heizkessel eines Versuchshauses der Firma Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) bei München haben seit Februar keinen Tropfen Öl mehr bekommen. 10 000 Mark spart in diesem Jahr das 50 Betten Hotel Hudenmühle im niedersächsischen Hodenhagen, weil Sonnenkollektoren auf dem Dach stehen. Die Heizkessel eines Versuchshauses der Firma Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) bei München haben seit Februar keinen Tropfen Öl mehr bekommen.
Für Warmwasser und Heizung sorgen die Sonnensammler auf dem Dach. Vor drei Jahren wurden die ersten Kollektorflächen auf deutsche Dächer montiert. Wenn sich in der nächsten Woche Energieexperten aus 38 Ländern zum  "Ersten Deutschen Sonnenforum" in Hamburg treffen, um über die Entwicklungschancen des kosmischen Kraftspenders zu diskutieren, fangen in der Bundesrepublik schon 5000 Gebäude mit im Durchschnitt 10 Quadratmeter Kollektorfläche Sonnenschein ein. Schon im nächsten Jahr, so schätzt die "Deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie" (DGS) in München, wird sich die installierte Kollektorfläche vervierfachen. DGS-Geschäftsführer Gerhard Berndt hoffnungsvoll: "Solarenergie wird sich in Deutschland jetzt ähnlich rasch durchsetzen wie vor 25 Jahren das Heizöl." Bund und Länder heizen den Boom kräftig an: Bis zu 20 Prozent der Kosten für Sonnenanlagen will künftig der Staat erstatten. 750 Millionen Mark, die dafür bereitgestellt sind, sollen nach dem "dezentralisierten Windhundverfahren" verteilt werden. Im Klartext: Wer zuerst kommt, hat die besten Chancen zu kassieren.
Lange Zeit galt Sonnenkraft unter Energieplanern allenfalls für südliche Länder als diskutabler Wärmespender. Dass die Sonne auch in Mitteleuropa ganz schön einheizen kann, nahm bei niedrigen Energiepreisen kaum jemand zur Kenntnis. Nur wenige "Sonnenanbeter" setzten auf die Himmelskraft. Ihre Sonnensammler bastelten sie sich meist im Do-it-yourself  Verfahren. Dazu tauschten sie in der Regel nur die Dachziegel ihres Hauses gegen flache Glaskästen aus, durch die Wasser der Zentralheizung in Röhren zirkulierte. Diese Röhren waren schwarz angestrichen,weil Schwarz die Sonnenenergie besonders wirksam einfängt. Das von der Sonne erhitzte Wasser wurde in Speicherkesseln gesammelt, damit das Gebäude auch bei Nacht und Nebel noch von Sonnenenergie geheizt werden konnte. Erst wenn die Wasserreserve verbraucht war, sprang die Ölheizung ein.
Schon vor vier Jahren berechnete der heutige Vorsitzende der DGS, Ulf Bossel, daß sich der Heizölverbrauch um die Hälfte senken lässt, wenn sich alle Hausbesitzer Sonnenkollektoren aufs Dach setzten und ihre Häuser besser gegen Wärmeverlust isolierten. Bossels Kalkulation scheint nun aufzugehen. Vor allem zwei Faktoren machen die Sonnensammler immer attraktiver: Die Anlagen werden leistungsfähiger und dazu auch billiger. Deutsche Hersteller, die noch vor einem Jahr für eine komplette Solarheizung mit Kollektoren, Wasserspeicher, Wärmetauscher und Regelelektronik rund 16000 Mark verlangten, bieten die gleichen Systeme heute für 10000 bis 12000 Mark an. Italienische und englische Firmen verkaufen ähnliche Anlagen sogar schon ab 6000 Mark.
Die deutsche Industrie verspricht sich viel von dem anrollenden Sonnenboom. In wenigen Jahren, so schätzt Dr. Albert Derichsweiler, Vertriebschef für Solaranlagen bei Messerschmitt-Bölkow-Blohm, werden die Umsätze der jungen Sonnenindustrie auf zwei bis drei Milliarden Mark steigen - und Zehntausende von Arbeitsplätzen schaffen.
Nicht nur im Inland soll das Geschäft mit der Sonne gemacht werden. Noch bedeutsamer für die Wirtschaft könnten Sonnenkraftwerke werden, die für den Export in südliche Länder bestimmt sind. So verschifft MBB gerade ein Mini-Kraftwerk nach Indien, das mit Kollektoren, wie sie auch auf Hausdächern verwendet werden, Strom erzeugt. Der Trick: Das von der Sonne auf 95 Grad erwärmte Wasser fließt in ein Maschinenhaus, wo es eine Flüssigkeit mit sehr niedrigem Siedepunkt erhitzt. Der entstehende Dampf treibt eine Turbine, die Strom erzeugt. Weitere deutsche Sonnen Projekte für den Süden: MBB und das Maschinenbau Unternehmen MAN entwickeln ein Solarkraftwerk des Typs "Sonnenturm". Ganze Batterien beweglicher Spiegel am Boden sollen Sonnenlicht auf einen Wasserkessel werfen, der auf der Spitze eines bis zu  l00 Meter hohen Turms montiert ist. Das auf 550 Grad Celsius erhitzte Wasser verdampft, und der Dampf treibt Kraftwerksturbinen am Fuß des Turms. MAN hat eine "Sonnenfarm" konstruiert, die Sonnenenergie mit besonders leistungsfähigen Kollektoren einfängt. Dabei wird Wasser auf 250 bis 300 Grad erhitzt - das genügt, Kraftwerksturbinen direkt anzutreiben. Die Friedrichshafener Dornier-Werke arbeiten an einer Meerwasserentsalzungsanlage, die mit Sonnenenergie betrieben wird.
So scheint denn jetzt erwiesen zu sein: Die Sonne hat Zukunft. Sie ist, betonen alle Experten, die einzige Energiequelle, die sich auch langfristig unbegrenzt nutzen lässt. DGS-Vorsitzender Bossel: "Anders als Kohle. Öl, Gas und Kernenergie erzeugt Sonnenkraft keine Abgase, keine Abwässer, keinen Schmutz, keine Radioaktivität. Vor allem aber vermeidet sie den Hauptnachteil der anderen Energiequellen: Sie heizt die Atmosphäre nicht auf. Die Sonne scheint ohnehin auf die Erde - ob wir sie nutzen oder nicht."

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