Jan ist nicht mehr, der Jan, aus Norwegen, der friedliche Wikinger. Der, der nach Jahren in der Ferne, in Thailand, nach schwierigen Jahren, den Weg zurückgefunden hatte in seine Heimat.
Eine kleine Farm, 50 km von Bergen. Natur pur, Ruhe, eine neue Lebensgefährtin, die bereit war, mit ihm in der Einsamkeit zu leben.
Letzes Jahr kam er das erste mal nach Agonda. Er verliebte sich in die Wärme, die laue Luft, den Lungi um die Hüften. Er genoss die Sonnenuntergänge, die langen Gespräche über nichtiges und wichtiges.
Er liebte das Leben und teilte das Glück mit strahlenden Augen. Dieses Jahr kam er schon im November. Nach Weihnachten, erzählte er, habe er seine Schwester und seine älteste Tochter eingeladen, um sein Paradies zu teilen, für einen Monat.
Es wurden nur 10 Tage.
Jeder der Freunde, die sich zum täglichen Sonnenuntergangs Ritual im Manahmahas treffen, hat seine eigenen Erinnerungen. Gemeinsam ist das Bild von einem lachenden, lebensfrohen Jan.
Er verwöhnte seine Schwester, die, wie er sagte, noch nie Urlaub gemacht hatte, in 60 Lebensjahren.
Er gab seiner ältesten Tochter all die Liebe, die sie vielleicht Jahre vermisst hatte.
Es war die erste gemeinsame Reise in ihrem 21 Jährigen Leben.
Jan hatte das halbe Jahrhundert vollendet. Er hatte Visionen, Pläne für die Zukunft. Das Haus in den Bergen, bei Bergen, war fertig. Liebevoll in Jahren restauriert. Grethe war eingezogen und geblieben. Er war froh.
Jetzt sitzt Grethe in Norwegen, 12 000 km entfernt. Sie weiß, das ihr Jan nicht mehr ist.
Der Hinterreifen der "Bullet" ist geplatzt, der "Bullet", dem klassischen Indischen Motorrad aus Ghandi Zeiten.
"King of the Road", so fühlte sich Jan, wenn er in gemessenem Tempo durch die Landschaft "blubberte".
Er war nicht der Macho-King, der durch die Dörfer heizt. Eher der gütige, der auf seiner "Bullet" durchs Land wandert. Abseits der großen Strassen, Respektvoll. Ein freundlicher Entdecker.
Indien wollte er seiner Tochter zeigen. Mehr als die "heile" Genußwelt Goas. Jenseits der Grenze nach Karnataka, ein heiliger Ort der Hindus, Gokarna.
25. km vor dem Ziel erwischte es Ihn.
Die Tochter wurde vom Sattel geschleudert, überlebte verletzt. Er verlor die Kontrolle über das Motorrad. Ein Auto wich aus, streifte eine Wand. Sachschaden. Jan lag auf dem Asphalt. Jan war tot.
Ein indisches Dorfkrankenhaus. Sie geben ihr Bestes, aber das ist bescheiden. Die Tochter kann telefonieren, sie ruft Benta an, Jans Schwester, übermittelt ihr die Schreckens Nachricht.
Ein hilfsbereiter Engel ist bereit, Benta ins Krankenhaus zu begleiten. 3 Stunden Fahrt sind es. 3 Stunden Ungläubigkeit, Hoffnung, Verzweifelung, Apathie.
Dann wird das Schreckliche Wirklichkeit.
Entscheidungen müssen gefällt werden. Die Botschaft, die Versicherung, stundenlange Befragungen in fremden Englisch. Formulare, Bürokratie, Hilflosigkeit.
Keine Zeit zur Reflexion, keine Zeit für Trauer.
Ein Krankenwagen wird organisiert. Transport nach Goa. Die Tochter kommt in ein modernes privates Krankenhaus. Wundversorgung, Beruhigungsmittel, Schlaf.
Am nächsten Mittag, 24 unwirkliche Stunden später, kehren sie nach Agonda zurück. Ihre Zimmer sind aufgebrochen, Ein Einbruch in der Nacht...
Während ich dies schreibe, schiesst ein Gedanke durch mein Gehirn: In Kalkutta liegt der Tempel der Göttin Kali (die, wenn ich recht erinnere, die dunklen Seiten des Lebens spiegelt), unmittelbar neben dem Krankenhaus von Mutter Theresa. Liebe und Tod, Tag und Nacht, Licht und Finsterniss gehören so eng zusammen.
Das ist Indien, ohne Wertung.
Ständig wird man konfrontiert mit diesem Widerspruch, der eigentlich keiner sein kann.
Was ist die Bedeutung des Augenblicks, die Frage nach dem Warum, dem Sinn hinter dem Wahnsinn.
Täglich überlesen wir die 5 Zeiler im Goa Herald, in denen von unbekannten Opfern des Straßenverkehrs berichtet wird. Wir vermeiden den Blick auf das Unangenehme, um unsere Illusionen zu erhalten. Eine Selbstschutz Maßnahme. Selbstverständlich.
So selbstverständlich wie der Tod, der die Schlagzeilen erreicht nur ein Bruchteil dessen ist, was das Schicksal in jeder Sekunde bereit hält für die Menschen dieser Welt, an Glück und Freude, Trauer und Verzweifelung.
Auch die eigene Vision des "Nicht-Seins" rückt näher, in solchen Augenblicken.
Momente der Dankbarkeit kommen in Erinnerung, die mich regelmässig erfassen, wenn ein Flug, eine Fahrt mit dem Auto oder dem Motorroler glücklich beendet ist.
Hier, wie in der Heimat.
Und immer wieder der Gedanke, wie es Angehörigen gehen mag, die mit Ihrer Trauer und dem Pragmatismus des Weiterlebens konfrontiert sind. Projektionen in die eigene Realität, in das "Was wäre wenn...".
In dem Chaos der Gedanken und Gefühle, in die Trauer, Empathie, Hilflosigkeit, mischt sich auch Tröstliches . Das Jan weiterleben wird, in unserem Gefühlen, in unseren Erinnerungen, in unseren Herzen, voller Unbeschwertheit und Heiterkeit.
Jan, Du bist bei uns, solange wir sind.
Montag, 11. Januar 2010
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