Dienstag, 29. Dezember 2009

Viele Fragen, ganz im Ernst...


Wenn ich über das nächste Jahrzehnt nachdenke, wird mir bewußt, wie schnell das letzte vergangen ist. Aber bestimmt geht es den meisten Menschen so. Einiges ist in Erinnerung geblieben, und wenn man gräbt, stellt man fest, es ist mehr als man gedacht hat, auch wenn die Bedeutung einzelner Tage in der "Timeline" verschwinden.
  Unsere Erinnerung wird bestimmt vom Individuellen, aber stark auch vom Kollektiven. Wir leben nicht wirklich das Leben, was wir leben wollen, wir leben das Leben, das man uns läßt. Wir leben kollektive Ängste wie private Freuden. Wir erleben kollektive Freude in individueller Verzweiflung.
Was mich als Individuum bewegt, ist Licht-Jahre entfernt von dem, was meinen Nachbarn bewegt. Wir leben in der gleichen Straße, der gleichen Stadt, dem gleichen Land. Wir bedienen uns der gleichen Sprache und doch verstehen wir einander nicht.
Wir alle wollen Glück und meinen Materie. Aber wie kommen wir heraus aus diesem Mißverständnis? Hilft uns der Begriff Zufriedenheit weiter, der mehr Grenzen setzt, als das grenzenlose Glück? Sind es nicht die kleinen Glücks-Momente, an denen wir unser Leben messen können? Wie relativ ist "groß" und "viel"?
Dies alles ist leicht gesagt, wenn man sich in materieller Sicherheit wähnt.
Um wieviel schwerer es ist, in materieller Not Zufriedenheit zu empfinden, erleben wir hier in unserem kleinen Kosmos auf vielfältigste Weise.
Suresh, langjähriger Kellner in unserer gewohnten Behausung, reist aus Nepal an.
Eine 5 Tages Reise mit dem Bus. Voller Hoffnung, genug zu verdienen, um seine Frau, seine 3 Töchter und Verwandte in seinem kleinen Heimat-Dorf in Nepal, zu ernähren.
5 Monate Arbeit, 150€ Lohn, - für die ganze Zeit.
Wenn die Trinkgelder der Gäste stimmen, fährt er mit 500€ nach Hause. Glücklich.
Dieses Jahr sieht es schlecht aus. Den alten Arbeitgeber gibt es nicht mehr. Bei dem neuen steht er in Kreide, für Krankenhaus-Kosten seiner jüngsten Tochter. Das kleine Haus, 2 Zimmer, Küche, mußte er bereits verkaufen. Aber die Gäste im neuen Restaurant bleiben aus. Und somit auch die Trinkgelder. Falsche Lage, würde der Immobilien-Profi sagen. Ein Teufelskreis.
Wir geben die Rupien locker aus, die uns Dank des Währungsgefälles so wertlos erscheinen. Der Dollar steigt gegenüber dem Rupia, der Euro fällt, die Touristen Realität am Geld-Automaten. Keine Relevanz für die Einheimischen. Sie müssen 30% mehr zahlen für wichtige Lebensmittel, bei gleichem Lohn. Globalisierung hat Ihren Preis. Auch wir ärgern uns über gestiegene Preise, aber das Währungsgefälle gleicht es aus. Wir sind die Glücklichen in der Sonne, die im Schatten aber, sieht man schon (wenn man sehen will).
Mir, der eigentlich am Liebsten mit der rosa-roten Brille durch das Leben geht, sind diese und andere Diskrepanzen wohl bewußt. Doch wie können wir diese Widersprüche aufheben? Welche Chancen hat der Einzelne, das globale Ganze zu verändern? Und in welcher Richtung? Was wird sein, wenn im Jahr 2025 mehr als die Hälfte der indischen Bevölkeung unter 15 Jahren ist und ihre Zukunft einfordert? Im letzten Jahrzehnt ist die Anzahl der Mobilfunkbenutzer in diesem Land auf 500 Millionen gestiegen. Jeder zweite Inder besitzt statistisch ein Handy. Hat ihn das verändert?
Auch Suresh hat eins, ein Geschenk von Touristen. Aber seine Frau kann er nur einmal im Monat anrufen. In seinem Tal in Nepal gibt es keinen Mobilfunk Empfang. Und das einzige Telefon im Dorf gehört dem Vermieter, des Zimmers, was er für Frau und Kinder gemietet hat. Der sich ausgebeten hat, ihn nur einmal im Monat zu stören. Harte Realität.
Petra würde die Familie am liebsten nach Berlin importieren, zur Pflege Ihres Vaters. Grundsätzlich keine schlechte Idee, aber mögen unsere Einwanderungsbehörden Nepalis? Wie verständigt sich Suresh bei Lidl am Hermsdorfer Damm. Können die Heiligenseer Sandberge oder der Tegler Forst das nepalische Tal ersetzen? Und was passiert, wenn der Vater stirbt und kein Pflegebedarf mehr besteht? In Märchen würde es vielleicht Lösungen geben. Aber Märchen sind so selten geworden. Und Märchen in denen 7 Milliarden Menschen glücklich leben, gibt es, glaube ich, überhaupt nicht.
Jeneits der Märchen bleiben viele Fragen, für viele Menschen. Hoffen wir, daß wir für einige von ihnen Antworten finden.

1 Kommentar:

  1. Lieber Frank,
    das ist eine erschütternde Mitteilung:
    da arbeitet ein Mann in 5 Monaten an 7 Tagen/w 15 h/d und hat Schulden und muss sein Haus verkaufen.
    Ein Ergebnis des Neo-Kolonialismus, netter ausgedrückt: der Globalisierung?
    Würdest Du Suresh von Christa und mir (the man who always eats tomatoes)100.-Euro geben?
    Suresh hat ja einen sehr großen Anteil, dass wir im dunhill ressort schöne Zeiten verbracht haben. Suresh ist in guter Erinnerung bei uns.
    Teilst Du mir Deine Bankverbindung mit, damit ich Dir den Betrag von 100.-Euro überweisen kann.
    Vielen Dank
    christa und peter
    weißt heißt eigentlich URL

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